Dr. Martin Stichlberger, ÖAMTC-Rechtsabteilung Wien
Kurzfassung ÄKVÖ-Referat v. 8.4.2008

Die größten Rechtsirrtümer rund ums Radfahren

KERNSÄTZE:

  1. Bei weitem nicht alle Vorschriften für Radfahrer sind im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer; dies gilt insbesondere für Verhaltensbestimmungen und Vorrangregeln auf allen Radfahranlagen (wie Radweg, Radfahrüberfahrt, Radfahrstreifen, Mehrzweckstreifen).
  2. Im Zuge einer wünschenswerten Gesamtreform des Verkehrsrechts für Radfahrer (nach breiter Diskussion) gehören die Vorschriften durchforstet, ob sie verständlich und praxisgerecht sind. (Auch Kinder müssen sie verstehen!)
  3. Der ÖAMTC tritt für eine Versicherungspflicht für Radfahrer ein. Diese sollte nicht über Fahrradkennzeichen laufen, sondern lenkerbezogen sein. Angesichts des hohen Schadensrisikos hat das Interesse des Einzelnen auf „Fahrradfreiheit" zurückzustehen, auch wenn dies im Einzelfall arme Bevölkerungsschichten trifft.
  4. Besondere Sorgfalt ist auf die Kennzeichnung kritischer Verkehrspunkte zu legen (Radfahrüberfahrten, erlaubtes Radfahren gegen die Einbahn.)
  5. Eine Verletzung der gesetzlichen Bestimmungen (ob bewusst oder aus Unkenntnis) wird zwar in der Regel mit Toleranz und „gesundem Hausverstand" der anderen Verkehrsteilnehmer korrigiert, kann aber im Schadensfall unerwartete und dramatische zivil- und strafrechtliche Auswirkungen haben.

 

Die „Hitliste" der aus der täglichen Rechtsberatung bekannten Irrtümer:

  1. „Radfahrer dürfen gegen jede Einbahn fahren."
  2. „Auf Radfahrüberfahrten gilt der Rechtsvorrang."
  3. „Fahrradboten sind von der Geltung der STVO ausgenommen."
  4. „Das Vorschlängeln ist für Radfahrer verboten."
  5. „Einen Radfahrer, der gegen eine sich öffnende Autotür prallt, trifft ein Mitverschulden, wenn er zu knapp vorbeifährt."
  6. „Ein Radfahrer muss immer äußerst rechts fahren, damit er gut überholt werden kann."
  7. „Mehrzweckstreifen dürfen von Pkw nicht befahren werden"
  8. „Radwege sind stets in beiden Richtungen befahrbar."
  9. „Bei Unfällen mit Radfahrern, die keine private Haftpflichtversicherung haben, zahlt der Versicherungsverband."
  10. „Mit dem Rad darf man ohne Gefahr für den Führerschein vom Heurigen nach Hause fahren."

 

IRRTUM 1 - „Radfahrer dürfen gegen jede Einbahn fahren."

Fahren gegen die Einbahn nur dann, wenn diese Erlaubnis gesondert beschildert wurde. Die Ausnahmeregelung ist durch Zusatztafeln am Anfang und Ende der Einbahn kundzumachen. Nicht nötig ist eine Bodenmarkierung (!) – nur, „wenn es die Verkehrssicherheit erfordert".

Probleme:

  1. Vorrangsituationen an Querstraßen! Der Vorrang richtet sich danach, ob Radfahranlage vorhanden ist oder nicht! Meist wird keine eigene Radfahranlage errichtet, sondern es wird einfach eine Ausnahme von der vorgeschriebenen Fahrtrichtung festgelegt. Daher gilt entweder der Rechtsvorrang oder die jeweilige Vorrangbeschilderung. Bei Verlassen einer echten Radfahranlage hätte der Radfahrer hingegen immer Nachrang (ähnlich Fahrzeugen, die aus Parkplätzen oder Nebenfahrbahn kommen). Problem: Endet die Radfahranlage oder nicht? Für den Querverkehr ist in der Kürze sehr schwer zu erfassen, ob „Einbahn mit Radfahrgegenverkehr" oder „Ende der Radfahranlage".
  2. Ausparken, Türöffnen: Der Ausparkende bzw. Türöffnende blickt nur gegen die Einbahnrichtung.
    ÖAMTC-Anregung: Eine (pro Gebiet) möglichst einheitliche Regelung ist anzustreben, um ein entsprechendes Verkehrsverhalten und eine Erwartungshaltung aller Verkehrsteilnehmer herbeizuführen. Dazu flankierende Sicherheitsmaßnahmen in Kreuzungsbereichen (Piktogramme, Markierungen, Leitlinien auf der Fahrbahn, Einfahrtspforten).

 

IRRTUM 2: „Auf Radfahrüberfahrten gilt der Rechtsvorrang."

Bei ungeregelten Radfahrerüberfahrten gelten für den Radfahrer besondere Regeln:

  • Tempolimit von 10 km/h
  • Die Radfahrüberfahrt darf nicht unmittelbar vor einem herannahenden Fahrzeug und für dessen Lenker überraschend befahren werden
  • Vorrang von rechts und links, solange sich der Radfahrer auf der Radfahrerüberfahrt befindet. (Ausnahme Schienenfahrzeuge), ABER: Wartepflicht, wenn ein Radfahrer eine Radfahranlage verlässt oder diese endet. (!) (Problem: Nicht im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer!) Für Autolenker gelten dieselben Verhaltensvorschriften wie vor einem Schutzweg:
  • Er hat einem Radfahrer oder Rollschuhfahrer, der sich auf einer Radfahrerüberfahrt befindet oder diese erkennbar benützen will, das ungefährdete Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen;
  • Darf sich nur mit einer solchen Geschwindigkeit nähern, dass er das Fahrzeug vor der Radfahrerüberfahrt anhalten kann, und er hat, falls erforderlich, anzuhalten. Übrigens: Auf Zebrastreifen hat ein Radfahrer nichts verloren!

 

IRRTUM 3: „Fahrradboten sind von der Geltung der STVO ausgenommen."

Ohne Worte.

 

IRRTUM 4: „Das Vorschlängeln ist für Radfahrer verboten."

„Vorschlängeln" ist dann erlaubt,

  • wenn die Kolonne steht.
  • wenn man sich vor einer Kreuzung, Straßenenge, Baustelle, Eisenbahnkreuzung oder Ähnlichem befindet.
  • wenn ausreichend Platz zur Verfügung ist.
  • wenn Abbieger nicht gefährdet oder behindert werden.

ÖAMTC-Tipp für Radfahrer: Nie rechts neben Lastwagen stehen bleiben! Rechts neben einem stehenden Lastwagen stehen zu bleiben, ist lebensgefährlich. Radfahrer sind dort für
Lkw-Lenker nicht sichtbar. ÖAMTC-Forderung: Zwingende Zusatzspiegel für LKW!

 

IRRTUM 5: „Ein Radfahrer muss immer äußerst rechts fahren, damit er gut überholt werden kann."

Falsch!
Zum Rechtsfahren:
7 (1) StVO: Der Lenker eines Fahrzeuges hat, sofern sich aus diesem Bundesgesetz nichts anderes ergibt, so weit rechts zu fahren, wie ihm dies unter Bedachtnahme auf die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zumutbar und dies ohne Gefährdung, Behinderung oder Belästigung anderer Straßenbenützer, ohne eigene Gefährdung und ohne Beschädigung von Sachen möglich ist.
Art und Umfang der Gefährdung hängt vom Fahrzeugtyp ab! Bei Radfahrern: Straßenbelag, Schienen, Autotüren, Querverkehr, querende Fußgänger. Durch zu extremes Rechtsfahren werden Autolenker zu gefährlichen Überholmanöver eingeladen!

ÖAMTC-Tipp für Radfahrer: Sicherheitsabstand nach rechts einhalten!
ÜBRIGENS: Auch auf Radwegen gilt das Rechtsfahrgebot!! Beim (erlaubten) Nebeneinanderfahren darf - falls Gegenverkehr zulässig - die gedachte Mittellinie nicht überschritten werden!

 

IRRTUM 6: „Einen Radfahrer, der gegen eine sich öffnende Autotür prallt, trifft ein Mitverschulden, wenn er zu knapp vorbeifährt."

Nein, der Türöffnende ist praktisch immer schuld!

PROBLEME:
Radwege und Radfahrstreifen neben Parkstreifen, erlaubtes Radfahren gegen die Einbahn, Radweg zwischen parkenden Fahrzeugen und Gehsteig.
23 (4) STVO: Die Türen eines Fahrzeuges dürfen so lange nicht geöffnet werden und auch nicht geöffnet bleiben, als dadurch andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert werden können.

 

IRRTUM 7: „Mehrzweckstreifen dürfen von Pkw nicht befahren werden."

Das dürfen sie sehr wohl, wenn die übrige Fahrbahn für den Fahrzeugverkehr zu schmal ist, etwa in Hinblick auf ausreichenden Seitenabstand zum Gegenverkehr. Radfahrern auf Mehrzweckstreifen muss aber der Vorrang eingeräumt werden.

 

IRRTUM 8: „Radwege und Radfahrstreifen dürfen stets in beiden Richtungen benützt werden."

Prinzipiell ja, aber:

  • Außer Richtungspfeile bestimmen eine Richtung. (Richtung von blau-weißen Radpiktogrammen aber nicht relevant!)
  • Ein Radfahrstreifen darf nur in jener Fahrtrichtung befahren werden, in die der angrenzende Fahrstreifen befahren werden darf. (Ausnahme: Einbahnstraße)
  • In Einbahnstraßen darf der Radfahrstreifen, falls links, nicht in Einbahnrichtung befahren werden (Rechtsfahrgebot!).

UND: Radfahranlagen, falls vorhanden, müssen benützt werden! (In letzter Zeit Tendenzen dagegen, aber ÖAMTC ist für Benützungspflicht!)

 

IRRTUM 9: „Bei Unfällen mit Radfahrern, die keine private Haftpflichtversicherung haben, zahlt der Versicherungsverband an den Geschädigten."

Nein, der Versicherungsverband zahlt keinesfalls. Das Verkehrsopfer-Entschädigungsgesetz bezieht sich nur auf Kraftfahrzeuge. Der Geschädigte kann sehr leicht leer ausgehen!
ÖAMTC-Forderung: Versicherungspflicht für Radfahrer (Plakette, Karte von Haushaltsversicherung oder abzuschließender Haftpflichtversicherung).
Kennzeichen für Fahrräder sind hingegen nach Meinung des ÖAMTC weder zielführend noch administrierbar, die Maßnahme ginge außerdem ins Leere (fahrzeugbezogen!) Zudem müsste man eine Pflicht zur Erteilung der Lenkerauskunft einführen.

 

IRRTUM 10: „Mit dem Rad darf man ohne Gefahr für den Führerschein vom Heurigen nach Hause fahren!"

Nur bedingt!

  • Radfahrer unterliegen sehr wohl den Alkohol-Bestimmungen der StVO samt drohender Verwaltungsstrafe zwischen 581,- und 5.813,- EUR.
  • Für Radfahrer gilt die 0,8- Promille-Grenze. (Für viele überraschend!)
  • Ein Alkotest darf nicht verweigert werden, bei Verweigerung gelten die gleichen strengen Strafbestimmungen wie für PKW-Lenker.
  • Der Führerschein (sofern mit!) darf bei Alkoholisierung nicht abgenommen werden. (Eine "Sofortabnahme" wäre möglich, wenn hinreichende Gründe zur Annahme bestehen, der Radfahrer werde in seinem Zustand ein Kfz in Betrieb nehmen, also als reine Sicherungsmaßnahme.)
  • JEDOCH: Wer wiederholt betrunken oder mit einem hohen Promillegehalt am Fahrrad erwischt wird, läuft Gefahr, dass ein Führerschein-Entziehungsverfahren eingeleitet wird, weil eine krankhafte Alkoholabhängigkeit mit Auswirkungen auf das Lenken eines Autos oder Motorrades befürchtet wird.
  • Wer sein Fahrrad schiebt, gilt als Fußgänger. Fußgänger können zwar keiner Routine-Alkoholkontrolle unterzogen werden, sehr wohl allerdings, wenn sie durch ihr Verhalten einen Unfall verursacht haben.

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